Blues Colours
2013
Wenn man sich der ebenso einfühlsamen wie ausdrucksstarken Musik von Thomas Scheytt nähern will, ist es angebracht, sich der Ursprünge dieses so einzigartigen Pianospiels zu vergewissern. Scheytt praktiziert die hohe Kunst, einen technisch anspruchsvollen Stil mit einer tiefen, erdigen Emotionalität scheinbar ohne jede Anstrengung zu verbinden. Das macht die manchmal fast unheimliche Attraktivität seines Spiels aus. Ich kann mich – um das gleich vorweg zu sagen – dem Urteil des Magazins Jazzpodium nur anschließen: „Thomas Scheytt ist einer der besten zeitgenössischen Boogie- und Blues-Pianisten“.
Es ist an der Zeit, dass ihn auch das Ursprungsland dieses Musikstils, die USA, entdeckt! Es ist Blues Colours zu wünschen, dass ihm diese neue CD die Tore nach New York, Chicago und New Orleans öffnen möge. Ob Ragtime, Stride, ob Gospel, Soul, Rock`n`Roll, Calypso oder Swing, der in Freiburg lebende Schwabe versteht es meisterhaft, auch solche Einflüsse und Stilelemente in seinen Boogie und Blues einzuweben und so ständig für herrlich überraschende spannungsmomente und tief berührende Emotionen zu sorgen. Es ist schlicht unmöglich, sich von Scheytts Musik nicht „anstecken“ zu lassen. Überspringende Lebensfreude in den Hochgeschwindigkeitsstücken des Boogie einerseits und tief empfundener Ausdruck beim Blues andererseits – Scheytts intensive Verwurzelung in seiner musikalischen Welt verhindert souverän, dass sein Pianospiel zu bloßer Artistik oder zu verzagter Weltschmerz-Rührseligkeit verkommt.
Natürlich zehrt Scheytt auch von den Vorgaben der Väter des Boogie Woogie, den in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Chicago wirkenden Albert Ammons, Meade Lux Lewis, Pete Johnson oder Jimmy Yancey. Natürlich weiß er um den Einfluss des Boogie auf Swing- Ikonen wie Count Basie oder Charlie Barnett um 1940, selbst noch der Modern Jazz Gigant Charles Mingus und der Experimentalmusiker Roland Kirk huldigten dem Boogie in ihren Kompositionen.
Einer von Scheytts Lehrmeistern war der von ihm verehrte Oldtime Jazz-Pianist und Komponist Hans Jürgen Bock, genannt der „Specht“. Immer wieder bietet Scheytt bei seinen Solo-Konzerten Kostproben von Bocks Kompositionen, insbesondere dessen wunderschöne Ragtime-Kompositionen dar. Wie kein anderer zeitgenössischer Boogie Woogie- und Blues-Pianist setzt Scheytt aber vor allem auf die Ausdruckskraft seiner eigenen Stücke. Die Inspiration dazu bezieht er oft aus seinen zahlreichen Live-Auftritten im direkten Kontakt mit dem Publikum. Wie sehr sich der Meister in seiner eigenen Musik zuhause fühlt, belegt auch die neue Solo-CD Blues Colours, die – bei insgesamt dreizehn Stücken – neun Eigenkompositionen präsentiert. Dass seine eigenen Kompositionen beim Publikum so überwältigend gut ankommen und immer wieder nachgefragt werden, befriedigt den Künstler natürlich besonders!
Beim Hören von Blues Colours drängt sich unweigerlich der Eindruck auf, dass Thomas Scheytt während seines Spiels vollkommen in sich ruht. Scheytt hat lange Jahre in Freiburg Philosophie studiert und immer wieder – auch in Interviews mit der Badischen Zeitung – hervorgehoben, wie wertvoll ihm diese Zeit war und ist. Ich weiß nicht, ob er mir zustimmt, wenn ich vermute, dass es eine an Zen gemahnende innere Zufriedenheit ist, aus der er die Kraft und Kreativität für seine Kompositionen schöpft.
Blues ist Volksmusik im besten Sinne. Man muss ihn fühlen und leben, um ihn authentisch zu spielen. Scheytt hat die Gabe, auf eine bewundernswerte Art in sich hineinzuhören und seine empfindungsreiche seelische Befindlichkeit eindringlich zu kommunizieren. Das ist ein Geschenk!
Bevor wir einen kurzen Blick in ein Live-Konzert von Thomas Scheytt werfen, noch ein paar Worte zu seinen beiden Bands. Immer wieder betont Scheytt, wie wichtig ihm seine beiden Formationen sind und wie glücklich er sich schätzt, mit Ignaz Netzer, Christoph Pfaff, Hiram Mutschler und Paul Weidlich auf die Bühne gehen und gemeinsam die Musik machen zu können, die ihnen am Herzen liegt und offensichtlich aus dem Herzen kommt.
Im Duo Netzer & Scheytt und im Trio mit der Boogie Connection ist er seit über 20 Jahren in Jazzclubs und auf Festivals in Deutschland und dem europäischen Ausland zu Gast. Mit beiden Formationen hat er es – das ist ungewöhnlich und deshalb bemerkenswert – an die Spitze der deutschen Blues- und Boogie-Szene geschafft. Dazu gehört wohl nicht nur musikalisches Können, sondern auch ein ordentliches Maß an Willenskraft, Disziplin und Ausdauer.
In 2011 spielte Thomas Scheytt ein Solo-Konzert vor Patienten und Besuchern in der „Klinik für Tumorbiologie“ in Freiburg. Ein besonderer Abend für den Künstler und die Zuhörer. „Unzählige Töne schwirrten durch den Raum, unzählige Töne, die – zusammen mit dem, was ich sah – mich verwirrten und gleichzeitig meine Neugier weckten und eine tiefe Befriedigung auslösten. Mich erfüllte eine besondere Leichtigkeit, die lebhaft und schön zugleich war. Die Musik und ihre Präsentation durchwirbelten meine Gedanken derart stark, dass ich noch während der Konzertpause nach Worten suchte. Ich gebe zu, dass ich Thomas Scheytt beobachtete, weil mich auch seine Körpersprache faszinierte und ich noch immer nicht verstand, was mit mir geschah. Ich blieb einfach sitzen und ich konnte auch nur das, weil ich so beeindruckt und verwirrt war. Thomas Scheytt war ein Unbekannter für mich. Was er spielte, hatte ich vorher noch nie gehört“, so eine Konzertbesucherin des Abends.
Blues Colours ist nach The Blues In My Soul aus dem Jahr 1996 und Inner Voices von 2003 Scheytts dritte Solo-CD. Aller guten Dinge sind drei, sagt man. Wollte er diesem Satz folgen, könnte Scheytt sich mit dem Geleisteten zufrieden geben. Ich vermute allerdings, dass diese großartige neue CD Scheytts Freunden und Fans gehörig Lust auf mehr machen wird!
Dr. Christian Hodeige
Herausgeber der Badischen Zeitung